Wer kennt das nicht: Rückenschmerzen oder Schmerzen im Nacken ohne erkennbare körperliche Ursache. Oft verbergen sich dahinter psychische Verspannungen, die als Reaktion auf beruflichen oder seelischen Stress auftreten. Erfahren Sie hier, welche Symptome psychosomatische Beschwerden begleiten und wie Sie diese lindern können.
Manchmal zeigt sich Stress nicht in Gedanken oder Gefühlen, sondern im Körper. Bleibt innere Anspannung über längere Zeit bestehen, kann sie sich festsetzen, z. B. in Form von Muskelverspannungen im Nacken, den Schultern oder im unteren Rücken. Bleiben diese Beschwerden dauerhaft bestehen, obwohl keine eindeutige körperliche Ursache vorliegt, sprechen Fachleute von psychisch bedingten bzw. psychosomatischen Rückenschmerzen.
Anhaltender Stress versetzt das Nervensystem in einen Zustand ständiger Alarmbereitschaft. Das war evolutionär sinnvoll, etwa zur Flucht oder zum Kampf, doch heute bleibt die körperliche Anspannung oft bestehen, obwohl keine akute Gefahr besteht. Und genau darin liegt das Problem: Der Körper kommt nicht mehr zur Ruhe. Die Folge kann eine Kette körperlicher Reaktionen sein, die in chronischen Rückenschmerzen münden:
Das Gehirn registriert Überforderung, emotionale Belastung oder Daueranspannung, auch unbewusst.
Der Körper schaltet in den Alarmmodus und schüttet Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol aus.
Die Muskulatur, insbesondere in Nacken, Schultern und Rücken, spannt sich an. Die Atmung wird flacher, die Bewegungsfreiheit nimmt ab.
Bleibt die Entspannung aus, können sich die Muskeln nicht mehr erholen. Die Folge sind schmerzhafte Verspannungen.
Aus Angst vor Schmerzen oder durch Unbeweglichkeit werden Bewegungen vermieden. Das führt zu weiterer Verkürzung von Muskeln und dem Einnehmen von Schonhaltungen.
Das zentrale Nervensystem reagiert empfindlicher. Der Schmerz wird stärker bzw. intensiver wahrgenommen, selbst bei geringen körperlichen Reizen.
Der Schmerz verliert seinen Warncharakter und wird zum eigenständigen Krankheitsbild, oft begleitet von Erschöpfung, Schlafstörungen oder Stimmungstiefs.
Angst, Überforderung, anhaltender Stress oder depressive Verstimmungen können Rückenschmerzen verstärken oder überhaupt erst entstehen lassen – nicht umsonst spricht man in diesem Zusammenhang von „chronischen Rückenschmerzen, wenn die Seele weint“. Die Muskulatur bleibt angespannt, die Erschöpfung wächst, der Schlaf wird unruhig. Viele Betroffene beginnen, Bewegungen zu vermeiden oder ziehen sich zunehmend zurück, aus Sorge, die Beschwerden könnten schlimmer werden. So entsteht ein Kreislauf aus Schmerz, Schonung und seelischer Belastung, der sich ohne Unterstützung nur schwer durchbrechen lässt.
Nicht immer lässt sich für Rückenschmerzen eine klare körperliche Ursache finden, besonders dann nicht, wenn die Beschwerden über längere Zeit bestehen. In solchen Fällen lohnt sich ein genauerer Blick: auf die Art des Schmerzes, darauf, wie er sich im Alltag verändert, und auf mögliche seelische Belastungen, die eine Rolle spielen könnten.
Chronische Rückenschmerzen belasten nicht nur den Körper, sie wirken sich häufig auch auf die seelische Gesundheit aus. Umgekehrt können psychische Erkrankungen den Verlauf und die Intensität der Schmerzen deutlich beeinflussen. Diese wechselseitige Verbindung ist insbesondere für Schmerzen im Bereich des unteren Rückens gut untersucht.1
Um Rückenschmerzen wirksam zu behandeln, genügt es also nicht, nur das Körperliche in den Blick zu nehmen, auch emotionale Belastungen und Denkmuster sollten in der Therapie entsprechend berücksichtigt werden.
Treten Rückenschmerzen plötzlich auf oder halten länger an, ist eine ärztliche Abklärung sinnvoll, unabhängig davon, wie stark sie empfunden werden. Hausärzte oder Orthopäden prüfen, ob körperliche Ursachen vorliegen, z. B. ein Bandscheibenvorfall, Arthrose, eine Nervenwurzelreizung oder osteoporotische Veränderungen. Auch muskuläre Überlastung, etwa durch langes Sitzen, Bewegungsmangel oder einseitige Belastungen im Beruf, kann Schmerzen verursachen. Ein Arztbesuch ist empfehlenswert, wenn:
Frühzeitige ärztliche Beratung hilft nicht nur, ernsthafte Ursachen auszuschließen, sondern auch, gemeinsam die passende Behandlung zu finden – sei es medizinisch, physiotherapeutisch oder psychologisch unterstützt. In der Anamnese geht es deshalb nicht nur um den Schmerz selbst, sondern auch um Alltagsgewohnheiten, berufliche Anforderungen und das persönliche Belastungserleben.
Bleiben Rückenschmerzen, bei denen seelische Faktoren eine Rolle spielen, unbehandelt, können sie sich verfestigen und zu einer eigenständigen Störung entwickeln. Die Beschwerden beeinflussen dann nicht nur den Körper, sondern auch das seelische Wohlbefinden und den Alltag. Mögliche Folgen sind:
Rückenschmerzen, bei denen seelische Belastungen eine Rolle spielen, lassen sich nicht mit einer einzigen Methode behandeln. Entscheidend ist ein ganzheitlicher Ansatz, der sowohl körperliche als auch psychische Faktoren in den Blick nimmt. Dafür können u. a. folgende Methoden eingesetzt werden:
Gezielte Entspannungstechniken helfen, muskuläre Anspannung zu lösen und innere Unruhe zu reduzieren. Bewährt hat sich die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson, bei der einzelne Muskelgruppen systematisch angespannt und wieder gelockert werden. Auch ruhige Bewegungsformen wie Yoga, Qigong oder Tai-Chi wirken positiv. Sie fördern die Körperwahrnehmung und helfen, zur Ruhe zu kommen.
Regelmäßige körperliche Aktivität wirkt sich nachweislich positiv auf Schmerzen und Stimmung aus. Empfohlen werden zwei bis drei Stunden Bewegung pro Woche, angepasst an die eigenen Möglichkeiten. Ob Spazierengehen, Radfahren, Tanzen oder Schwimmen, wichtig ist, dass die Bewegung Freude macht. Auch ausreichend Schlaf und eine ausgewogene Ernährung unterstützen die körperliche und psychische Regeneration.
Physiotherapeuten erstellen ein individuelles Übungsprogramm, welches auf das Beschwerdebild des Patienten abgestimmt ist. Ziel ist es, verspannte Muskelgruppen zu lockern, die Haltung zu verbessern und bestimmte Muskelpartien gezielt zu kräftigen. Auch Maßnahmen wie Massagen oder Akupunktur können unterstützend eingesetzt werden, ersetzen aber nicht die aktive Bewegung.
Nicht jeder Stress lässt sich vermeiden. Was man allerdings beeinflussen kann, ist der Umgang damit. Achtsamkeit, gutes Zeitmanagement, das Reduzieren von Multitasking sowie regelmäßige Pausen können helfen, den Alltag zu entschleunigen. Auch Rituale wie bewusste Atempausen oder digitale Auszeiten am Abend können Entlastung schaffen.
Wenn sich belastende Gedanken, Sorgen oder negative Denkmuster dauerhaft auf den Körper auswirken, kann eine psychotherapeutische Begleitung hilfreich sein. Bei chronischen Schmerzen sind u. a. die kognitive Verhaltenstherapie und Patientenedukation empfehlenswert.3 Sie unterstützen dabei, mit dem Schmerz anders umzugehen, Denk- und Verhaltensmuster zu verändern und den Alltag wieder aktiver zu gestalten, damit sich die chronischen Schmerzen bessern.
Sowohl regelmäßige Bewegung als auch das Erlernen von Techniken zur Stressbewältigung können entscheidend dazu beitragen, chronische Rückenschmerzen zu verhindern – jene Schmerzen, die auftreten können, wenn die Seele weint:
Es gibt Kliniken für Rehabilitation, die interdisziplinäre Behandlungsprogramme anbieten, welche sowohl körperliche als auch psychische Faktoren berücksichtigen, dazu gehört u. a. die verhaltensmedizinisch orientierte Rehabilitation (VOR). Sie richtet sich gezielt an Menschen mit chronischen Beschwerden, die durch psychische Belastungen, Stress oder innere Anspannung verstärkt werden. Zum Angebot einer solchen Reha gehören beispielsweise:
Ein zentrales Ziel der VOR ist es, Patientinnen und Patienten zu mehr Selbstwirksamkeit zu führen. Sie lernen, ihre Beschwerden besser zu verstehen, aktiv damit umzugehen und langfristig wieder mehr Lebensqualität zu gewinnen.
Bleiben Rückenschmerzen trotz körperlicher Behandlung bestehen, lohnt sich ein Blick auf die seelische Verfassung. Ein Schmerztagebuch kann helfen: Nehmen die Schmerzen im Rücken in stressigen oder emotional belastenden Phasen zu, kann das auf einen psychosomatischen Zusammenhang hindeuten. Auch Begleitsymptome wie Erschöpfung, Ängste, Schlafprobleme oder Rückzug sprechen dafür, dass der Körper leidet, weil die Seele weint.
Betroffene chronischer Rückenschmerzen neigen dazu, ihre Beschwerden durch Schonhaltungen oder weniger Bewegung zu bekämpfen, doch das verschlimmert meist die Schmerzen. Depressionen und Angst verstärken das Schmerzempfinden zusätzlich. Negative Gedanken und Grübeln tragen ebenfalls dazu bei. Besser ist es, chronische, psychosomatische Schmerzen zunächst zu akzeptieren und sich in Krankheitszeiten mit Selbstmitgefühl zu begegnen.4
1 Bletzer, J. & Gantz, Simone & Voigt, T. & Neubauer, Eva & Schiltenwolf, Marcus. (2016). Chronische untere Rückenschmerzen und psychische Komorbidität: Eine Übersicht. Der Schmerz. 31. 10.1007/s00482-016-0143-4 https://www.researchgate.net/publication/306009903_Chronische_untere_Ruckenschmerzen_und_psychische_Komorbiditat_Eine_Ubersicht (Letzter Abruf: 04.06.2025)
2 Diezemann, Anke. (2024). Fear Avoidance bei chronischen Rückenschmerzen. Ärztliche Psychotherapie. 19. 75-80. 10.21706/aep-19-2-75. https://www.researchgate.net/publication/380262637_Fear_Avoidance_bei_chronischen_Ruckenschmerzen (Letzter Abruf: 04.06.2025)
3 Manigold, T.; Gantschnig, B. E., Streitberger, K.: „Multiprofessioneller Behandlungsansatz bei chronischen Rückenschmerzen“, In: Zeitschrift für Rheumatologie, 1/2023, https://www.springermedizin.de/rueckenschmerzen/rueckenschmerzen/multiprofessioneller-behandlungsansatz-bei-chronischen-rueckensc/23446968 (Letzter Abruf: 04.06.2025)
4 IASP: „Psychology of Back Pain”, Juli 2021, https://www.iasp-pain.org/resources/fact-sheets/psychology-of-back-pain/ (Letzter Abruf: 04.06.2025)